Veranstaltung: | BAG Frieden 16.-18.4.2021 |
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Tagesordnungspunkt: | 1. Änderungsanträge zum Wahlprogram |
Antragsteller*in: | Marcel Ernst, Ingo Henneberg, Melanie Müller, Sarah Brockmeier, Sonja Katharina Schiffers, Sebastian Stölting, Sara Nanni, Juliana Wimmer |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 11.04.2021, 01:18 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A50NEU: Chinapolitik menschenrechtsorientiert gestalten
Antragstext
Anpassung des Projekts „China“ (Z. 218-234)
(fett: Ergänzungen; unterstrichen und kursiv: Streichungen aus dem Originaltext)
China ist Europas Wettbewerber, Partner, systemischer Rivale. Wir verurteilen
Chinas verlangen von China ein Ende seiner eklatanten Menschenrechtsverletzungen
etwa in Xinjiang, und Tibet oderund zunehmend auch in Hongkong. Deutschland
sollte sich daher für eine Fact-Finding-Mission zu Xinjiang im Rahmen des VN-
Menschenrechtsrats einsetzen. Das sogenannte Sicherheitsgesetz für Hongkong und
die Änderung des Wahlrechts sind ein Angriff auf die Autonomie der
Sonderverwaltungszone und das international verbriefte Prinzip „Ein Land – zwei
Systeme“. Wir unterstützen die Demokratiebewegung in Hongkong und wollen auf
zivilgesellschaftlicher Ebene den Austausch mit China intensivieren. Es braucht
dennoch einen konstruktiven Klima-Dialog mit China und wir streben gemeinsame
politische, wirtschaftliche und technologische Anstrengungen zur Bekämpfung der
Klimakrise an. Die Kooperation mit China darf nicht zu Lasten von Drittstaaten
oder von Menschen- und Bürger*innenrechten gehen. Wir halten uns an dieEuropas
„Ein-China-Politik“ der Europäischen Union und betonen, dass dieChinas
Vereinigung mit Taiwan nicht gegen den Willen der Bevölkerung Taiwans erzwungen
werden darf. Unsere Handelsbeziehungen mit China wollen wir nutzen, um fairen
Marktzugang für ausländische Investitionen, Rechtssicherheit und gleiche
Wettbewerbsbedingungen einzufordern, sowie nachhaltige Wirtschaftskreisläufe
international zu etablieren. Wir erwarten, dass China die entscheidenden
Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO ratifiziert und diejede
Form von Zwangsarbeit beendet. Das ausgehandelte Investitionsabbkommen der EU
mit China ist für uns in dieser Form nicht zustimmungsfähig. Angesichts der
Menschenrechtsverletzung – etwa in Xinjiang – wollen wir einen europäischen
Mechanismus entwickeln, der Waren aus Zwangsarbeit den Zugang zum Binnenmarkt
verwehrt. Das europäische Lieferkettengesetz muss angesichts der
Menschenrechtsverletzung – etwa in Xinjiang – Waren aus Zwangsarbeit den Zugang
zum Binnenmarkt ebenso verwehren, wie es Unternehmen für ihre Produkte in
Haftung nimmt. Wir werden an einer engen europäischen und transatlantischen
Koordinierung gegenüber China arbeiten, besonders auch in den Bereichen 5G-
Ausbau und Schutz kritischer Infrastruktur.
Begründung
Wir sollten uns als Grüne gegenüber China für eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik einsetzen. Im ersten Satz verurteilen wir jetzt Chinas eklatante Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, Tibet und Hongkong und verlangen nicht lediglich von China ein Ende dieser Menschenrechtsverletzungen.
Vor dem Hintergrund der Situation, dass die Tatsachen vor Ort in Xinjiang von den unterschiedlichen Seiten sehr verschieden dargestellt werden, braucht es eine internationale Fact-Finding Mission, die vor Ort mit einem ungehinderten Zugang zu allen relevanten Gesprächspartner*innen und Orten belastbare Erkenntnise bringt.
Ausführliche Kritik zum Sicherheitsgesetz Hongkong: https://www.gruene-bundestag.de/themen/menschenrechte/demokratiebewegung-unterstuetzen
Durch die beschlossene Wahlrechtsreform erhält die Regierung in Peking die Kontrolle über die Auswahl der Kandidat*innen nach Prüfung von deren Position. Nach der Reform werden auch nur noch etwas über 20% der Sitze durch direkte Wahl unter den ausgewählten Kandidat*innen vergeben. Beides ist ein direkter Angriff auf die Autonomie der Sonderverwaltungszone. Wir sollten uns daher auch klar auf die Seite der friedlichen Demokratiebewegung in Hongkong stellen, die trotz schwierigster Umstände sich für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in Hongkong einsetzt. Außerdem braucht es auch einen stärkeren Austausch der Zivilgesellschaft zwischen Europa und China.
Es braucht einen konstruktiven Klima-Dialog mit China. Das „dennoch“ passt nicht, da es nicht im Widerspruch zum Text darüber steht. Die Umformulierung im Satz zu Kooperationen mit China stellt sicher, dass es nicht so missverstanden werden kann, dass sich "Die Kooperationen" nur auf den vorher genannten Klima-Dialog bezieht.
Da Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, sollten wir nicht von einer Vereinigung Chinas sprechen. Die Mehrheit in Taiwan sieht sich nicht als Teil Chinas und wünscht sich keine Vereinigung. Deshalb sollten wir von einer Vereinigung mit Taiwan sprechen. [Übernahme dieses Teils aus Ä1]
Ausführliche Kritik am EU-China Investitionsabkommen. Dieses ist für uns Grüne in dieser Form nicht zustimmungsfähig. https://reinhardbuetikofer.eu/2021/01/29/was-bringt-das-eu-china-investitionsabkommen-buetis-woche/
Die Formulierung zum Lieferkettengesetz im Entwurf passt fachlich nicht: Die Befürchtung unserer Fachpolitiker*innen ist, dass man bei Integration des Themas Zwangsarbeit in das geplante europäische Lieferkettengesetz weiterhin Import von Produkten, die in Zwangsarbeit erstellt worden sind, möglich ist. Daher streben wir hier einen eigenständigen Mechanismus an, der sicherstellt, dass diejenigen, die etwa aus Xinjiang importieren wollen, nachweisen müssen, dass es keine Zwangsarbeit gibt. Es ist also keine Abschwächung der Formulierung, lediglich das Instrument passt hier nicht und wird so auch nicht festgelegt.
Das europäische Lieferkettengesetz bleibt in jedem Fall weiterhin Teil des grünen Wahlprogramms, da es ein eigenständiges und ausführliches Projekt zum Lieferkettengesetz im Wirtschaftskapitel gibt (https://antraege.gruene.de/46bdk/kapitel_2_in_die_zukunft_wirtschaften-15059 Z. 463ff)
Änderungsanträge
- Globalalternative: Ä6 (HILMAR HEIER (LAG_FREI HE), Eingereicht)
- Ä1 (Christian Jacobs (LAG Frieden Berlin)), Zurückgezogen)
- Ä2 (nicht Ursula Hertel-Lenz (BAG Frieden) (BAG Frieden), Zurückgezogen)
- Ä3 (Christian Jacobs (KV Berlin-Kreisfrei), Eingereicht)
- Ä4 (Christian Jacobs (KV Berlin-Kreisfrei), Eingereicht)
- Ä5 (Ralph Urban (BAG / Gast), Eingereicht)
- Ä7 (David Missal (KV Berlin-Pankow), Zurückgezogen)
- Ä8 (David Missal (KV Berlin-Pankow), Eingereicht)
Kommentare
Juergen Kurz:
Es heisst in der Begründung: "Vor dem Hintergrund der Situation, dass die Tatsachen vor Ort in Xinjiang von den unterschiedlichen Seiten sehr verschieden dargestellt werden, braucht es eine internationale Fact-Finding Mission, die vor Ort mit einem ungehinderten Zugang zu allen relevanten Gesprächspartner*innen und Orten belastbare Erkenntnisse bringt."
Wieso will man also erst "Chinas eklatante Menschenrechtsverletzungen" verurteilen wenn man selbst einräumt dass es keine belastbaren Erkenntnisse gibt ? Ist es normal dass man erst einem in "die Fresse haut" und danach sagt "Sorry, jetzt müssen wir erst mal untersuchen ob unsere Vorwürfe belastbaren Erkenntnissen Stand halten" ?
Für mich ganz klar eine Vorverurteilung und im Interesse fairer und international verantwortlicher Politik ein no go !
Zu Taiwan: Es stimmt, Taiwan war nie Teil der Volksrepublik. Die DDR war auch nie Teil der Bundesrepublik. Völkerrechtlich gab es aber die BRD und die DDR. In der UN gibt es nur die VR China als alleinigen Vertreter Chinas. Taiwan ist kein anerkannter Staat. Warum sollen GRÜNE sich in diese Frage rein hängen? Die VR China hat immer wieder betont dass man die Taiwan Frage friedlich lösen will, solange niemand von aussen eingreift. Die militärischen Übungen der USA vor Taiwan sind eindeutig eine Verletzung internationalen Seerechts und aus Sicht Chinas als Provokation zu verstehen.
Zum Thema Zwangsarbeit in China: Das chinesische Arbeitsrecht entspricht in weiten Teilen dem deutschen Arbeitsrecht und schützt die chinesischen Arbeitnehmer. Es gibt zunehmend Arbitrationsverfahren, in denen sich meistens Arbeitnehmer erfolgreich gegen Arbeitgeber wehren. Da Chinas gesamtes Rechtssystem weiterhin im Aufbau ist und die Bevölkerung es bisher nicht gelernt hat diese Systeme zu nutzen (Deutschland hat auch viele Jahre dazu gebraucht), gibt es Bereiche in dem 1,4 Mrd. Land China, wo die Wahrnehmung der eigenen verbrieften Rechte nicht immer erfolgt. Daraus den Vorwurf staatlicher Zwangsarbeit abzuleiten ist ungerechtfertigt und falsch ! Auch in China werden in jedem Verfahren beide Seiten gehört! Ich kenne diese Regelungen und Probleme mittlerweile sehr gut. Auch dieser Vorwurf gegenüber China ist unbegründet und sollte erst einmal von Arbeitsrechtlern überprüft werden bevor man ein Land an den Pranger stellt.
Eine Begründung warum auch wir GRUENE das CAI annehmen sollten unter http://www.juergenk.de/14.html
Thomas Schmidt:
China ist absehbar noch in diesem Jahrzehnt dabei, die USA als wirtschaftlich führende Macht einzuholen oder sogar abzulösen. China ist ein Faktor in den internationalen Beziehungen, dessen Bedeutung für die Bewältigung der globalen Bedrohungen wie Klimakrise und nukleare Eskalationsrisiken sehr hoch ist. Auch als Wettbewerber und systemischer Rivale ist es im europäischen Interesse, mit China einen intensiven Dialog zu führen und China auf den Multilateralismus und die Einhaltung internationalen Rechts, insbesondere aber nicht darauf beschränkt, die Einhaltung der Menschenrechte zu verpflichten. Der Dialog darf dabei nicht auf die Klimafrage beschränkt bleiben, sondern muss auch auf Fragen der Abrüstung und der Rüstungskontrolle ausgedehnt werden.
Insbesondere ist es im Interesse Europas, dass aus der systemischen Rivalität keine neue Konfrontationsstellung wie im Kalten Krieg mit der Sowjetunion, kein Kalter Krieg 2.0 entsteht.
Diplomatie ist Verhandeln und nicht Bestrafen. Diplomatie ist immer auf der Suche nach Lösungen, nach gemeinsamen Ansätzen und Kompromisssen, anstatt sich in gegenseitigen Meinungen festzufahren. Bündnis 90/DIE GRÜNEN stehen für Klimaschutz und den Schutz der Menschenrechte. Um diese beiden Themen nachhaltig verfolgen zu können, wäre es kontraproduktiv den Einstieg in die nächste Bundesregierung mit einer außenpolitisch scharfen Verurteilung Chinas zu beginnen.
Die vorgeschlagene Formulierung von Euch ist zudem in sich widersprüchlich und wenig glaubwürdig:
Wie passt das zusammen, schon im zweiten Satz von Menschenrechtsverletzungen als Tatsache zu sprechen und diese dann scharf zu verurteilen - abgesehen davon dass es hier selbst für die Bundesregierung keine eindeutigen und klaren Erkenntnisse gibt - und dann im nächsten Satz eine Fact-Findig-Mission zu fordern (was ich sehr unterstützen würde)?
Viola von Cramon:
Juergen Kurz:
In der Konsequenz stehen sich die beiden Anträge A50 neu und A 13 komplett konkurrierend gegenüber.
A13 ist ein realitätsorientierter Antrag der die Thematik der Menschenrechte integriert, sie aber nicht als geopolitische Allzweckwaffe gegen das aufstrebende China einsetzt.
Die berechtigten Forderungen und Hinterfragungen zur Situation der Menschenrechtslage in China werden akzeptiert. Es wird aber nicht wie in A50neu eine Vorverurteilung Chinas vorgenommen. Stattdessen setzt der Antrag A13 in der Konsequenz auf eine nachhaltige, schrittweise Verbesserung in China. Fakt ist: China heute und China vor 20 Jahren sind sehr unterschiedliche Lebenswirklichkeiten. Chinesen empfinden ihr Leben heute als das Beste das sie jemals hatten.
Es ist sinnlos durch starke, Dialog abwürgende Formulierungen die mögliche und notwendige Zusammenarbeit mit China zu blockieren.
Mit den teilweise ungeprüften Vorwürfen, wie sie in A50neu kommen, wird man auch nach der BT-Wahl sich nur vollkommen berechtigt eine mediale Angriffsfläche öffnen, da man diese Politik real gar nicht umsetzen kann !
Juergen Kurz:
China-Bashing hat Hochkonjunktur
Von Eberhard Sandschneider (Partner "Berlin Global Advisors")
Doppelmoral im Umgang mit China: Die USA reden über Werte, sie meinen aber geopolitischen Einfluss. Die Europäer reden auch über Werte, sie meinen aber wirtschaftliche Interessen. Währenddessen helfen Sanktionen niemandem, schon gar nicht den Menschen in Xinjiang und Hongkong. Statt verbaler Aufrüstung und dem militärischen Machtgehabe vergangener Zeiten sollte der Westen den Dialog mit Peking suchen. Denn schließlich wissen alle, dass die Probleme der Welt nur mit und nicht gegen China gelöst werden können.
Der Katzenjammer war vorprogrammiert. Die mittlerweile klar erkennbare Chinapolitik der Administration Biden zwingt auch die Europäer dazu, verstärkt über ihre Chinapolitik nachzudenken. Bislang zeigt sich allerdings nur eine den amerikanischen Erwartungen folgende Aggressionsbereitschaft. Mit einer erfolgsorientierten und konstruktiven Politik hat das wenig zu tun. Gerade in Deutschland könnte das Thema nach einem möglichen Regierungswechsel besondere Brisanz entwickeln. China macht es uns dabei nicht unbedingt einfach. Klar ist derzeit nur eines: Der ökonomische Aufstieg Chinas hat machtpolitische Folgen und das Potential die geopolitischen Gewichte des 21. Jahrhunderts grundsätzlich zu verschieben. Neu ist dieser Gedanke nun wahrlich nicht, aber je deutlicher die Konsequenzen dieser Entwicklung spürbar werden, desto mehr steigt die Unruhe unter westlichen Politikern, Unternehmern und Kommentatoren. Die Bereitschaft, in Extremen zu denken, nimmt zu: Hat Matthias Döpfner recht, der eine enge Anlehnung an die USA fordert, oder im Gegenteil Stefan Baron, der es bei einem missverständlichen, aber schlichten „Ami go home“ belässt? Oder doch eher Sigmar Gabriel, der im China.Table der vergangenen Woche zwar sachlich über den „Abschied vom Atlantik“ nachdenkt, am Ende aber doch wieder nur in die ewigen Hoffnungsgesänge auf ein endlich handlungsfähiges Europa auf Augenhöhe mit Washington einstimmt? Zunächst sollten wir uns nicht dem Größenwahn hingeben, den Aufstieg Chinas „managen“ zu können. China lässt sich nicht von außen managen, genauso wenig wie es sich übrigens eindämmen lässt. Unsere amerikanischen Freunde haben das noch nicht verstanden und geben sich dem Irrglauben hin, es sei noch an der Zeit die notwendigen Schritte zu ergreifen, um dem machtpolitischen Aufstieg Chinas Einhalt zu gebieten. Und nur weil sie an den Hammer ihres Militärs glauben, glauben Sie auch, China sei ein Nagel, den man nur wieder einzuschlagen brauche. Zwischen dem Hammer und dem Nagel liegt in diesem Fall allerdings der eigene Daumen.
Kritik ohne Sachkompetenz
In der Politik steigt derweil die Frustration und damit auch die Bereitschaft, zu immer härteren Formulierungen in der Chinapolitik zu greifen. Chinas zunehmend selbstbewusstes außenpolitisches Verhalten leistet dieser Kritikwut mit den üblichen Reizthemen bereitwillig Vorschub: Kritik an Chinas Politik in Tibet, Xinjiang, Hongkong und dem südchinesischen Meer gehört heute ins Standardrepertoire einer moralisierenden Außenpolitik, die mit klarem Wertebezug zwar, aber ansonsten durchaus ohne Sachkompetenz auskommt. China-Bashing hat Hochkonjunktur. Und Sanktionen sind auch dieses Mal wieder nur die Fortsetzung hilfloser Politik mit rechthaberischen Mitteln. Der Westen könnte das in Anbetracht seiner Sanktionsbilanz schon wissen, China wird es erst noch lernen müssen. Europäische Selbstermahnungen wirken zunehmend unbeholfen. Die vom französischen Präsidenten geforderte „strategische Autonomie“ findet sich in der Realität nicht einmal im Ansatz wieder – weder gegenüber China noch gegenüber den USA. Transatlantische Träume haben auch unter Joe Biden den Beigeschmack von Albträumen. Denn man muss kein Experte sein, um einen schlichten Sachverhalt zu erkennen: Die USA reden über Werte, sie meinen aber geopolitischen Einfluss. Die Europäer tun es ihnen gleich, sie meinen aber wirtschaftliche Interessen. Doppelte Standards werden in beiden Fällen gesetzt. An anderer Stelle sieht das sogar der deutsche Außenminister in einem seiner klareren Statements ein: Maas wolle eine weitere Eskalation der Beziehungen mit Russland vermeiden, zitiert ihn die Deutsche Welle. Maas weiter: „Unsere Haltung zu Nord Stream 2 ist bekannt. Wenn die beteiligten Firmen ihre Aktivitäten stoppen würden, muss das keine konkreten Auswirkungen auf den Fall Nawalny haben. Wir halten es nicht für richtig, Russland wirtschaftlich zu isolieren. Eine wirtschaftliche Isolation Russlands würde geostrategisch dazu führen, dass man Russland und China immer weiter zusammentreibt. Und das kann nicht in unserem strategischen Interesse sein. Es könnte eher noch schwieriger werden, überhaupt noch über solche Themen mit Russland zu sprechen.“ Da hat er nun mal ausgesprochen recht. Aber wer das sagt, sollte eigentlich genau dasselbe über Sanktionen gegen China sagen. Die Doppelmoral der deutschen Außenpolitik und ihrer führenden Vertreter ist immer wieder bemerkenswert. Wie also könnte eine weniger moralisierende Chinapolitik aussehen? Idealerweise sollte sie aus mindestens drei Schritten bestehen.
Militärische Zurückhaltung
Militärische Muskelspiele sind derzeit im Westpazifik an der Tagesordnung. Provoziert durch außenpolitisches Nachtreten einer schon fast aus dem Amt entlassenen US-Regierung wegen Taiwan, revanchiert sich Peking mit einer gezielten Verletzung des von Taiwan beanspruchten Luftraums. Daraufhin verlegt der neue amerikanische Präsident als Zeichen seiner Handlungsfähigkeit mit der „USS Theodore Roosevelt“ einen zweiten Flugzeugträger in die Straße von Taiwan. Und plötzlich wollen auch die Europäer dabei sein: Die Franzosen mit ihrem Atom-U-Boot „Émeraude“ und die Briten mit ihrem Flugzeugträger „HMS Queen Elizabeth“. Selbst die Deutschen wollen mit einer Fregatte Flagge zeigen – wenn sie es denn über Wasser in das südostasiatische Seengebiet schafft. Symbolische Machtpolitik nach Vorbild des 19. Jahrhunderts, so als wüsste man nicht um die Risiken einer Zufallskonfrontation mit katastrophalen Folgen. Europa ist keine pazifische Macht und wäre gut beraten, sowohl die USA als auch China zu einer Reduktion militärischer Konfliktpotentiale zu drängen.
Sanktionen verhindern den Dialog
In der Kunst der Diplomatie kommt es darauf an, Dinge auch einmal unausgesprochen zu lassen, gerade wenn sie offensichtlich sind. Chinadebatten im Westen leiden an einem Übermaß an verbaler Kritikwut. Das soll nicht heißen, dass die Kritik aus westlicher Sicht nicht berechtigt ist. Aber was kann China-Bashing wirklich bewirken bzw. verbessern? Nehmen wir nur das derzeit beliebteste Beispiel: Die Vorgänge in Xinjiang als Anlass für Sanktionen zu nehmen, wie es die Europäische Union gerade getan hat, sichert innenpolitischen Zuspruch und medialen Applaus, aber es hilft den Menschen in den betroffenen Regionen nicht. Stattdessen verleitet es China nur zu Trotzreaktionen und stellt sicher, dass auch der letzte Dialogkanal verstopft wird. Ein Grundproblem wird offensichtlich: Politiker wissen sehr genau, was man zu Hause, in ihren Wahlkreisen und Parteigremien von ihnen erwartet und welche Sprache man hören will. Wer China laut kritisiert, kann sich des Applauses sicher sein. Häufig geht es dabei gar nicht primär um China, sondern um Sichtbarkeit in den deutschen und europäischen Medien und um Zuspruch in der jeweiligen Innenpolitik. Statt markiger Worte ist das Bohren dicker Bretter angesagt. Wer nur mit der westlichen Wertebrille auch China schaut, muss nichts mehr lernen über dieses komplexe und für uns paradoxe Land, weil das Urteil ohnehin von vornherein feststeht. Wer aber für sich in Anspruch nimmt, auf innenpolitische Vorgänge in China Einfluss nehmen zu wollen, der muss alles Erdenkliche tun, um Dialogkanäle offenzuhalten und sie nicht durch provokante und überzogen aggressive Sprache zu verschließen.
Mit China reden: Der Ton macht die Musik
Statt auf aggressive Anklagen und militärische Drohgebärden zu setzen, scheint eine derzeit weniger beliebte Strategie langfristig doch das Potential zum Königsweg zu haben: Kann man also mit China nicht über Hongkong, Xinjiang und Tibet sprechen? Natürlich kann man das. Aber der Ton macht die Musik. Wer das Land nicht gleich mit markigen Worten auf die Anklagebank setzt, hat zumindest die Chance, Gehör zu finden – und vielleicht auch in stiller Diplomatie den ein oder anderen Erfolg zu verbuchen. Wer anerkennt, dass die großen globalen Probleme unserer Zeit nur gemeinsam mit China und nicht ohne oder gegen China gelöst werden können, müsste eigentlich ohne großes Nachdenken selbst auf die Idee kommen, dass man mit diesem Land und seiner Regierung reden, verhandeln, vielleicht auch streiten muss, um Lösungen zu finden, die für alle Seiten akzeptabel sind. Nur so wird sich die gemeinsame Erarbeitung globaler Güter sicherstellen lassen. Nur so werden sich Frieden und Wohlstand erhalten lassen.
Es ist höchste Zeit, dass Chinapolitik im Westen als ständige und dauerhafte Managementaufgabe und nicht als Problem gesehen wird, dass mit aller Macht, schnell und endgültig nach einer Lösung verlangt. Den Untergang des Abendlandes bedeutet der Aufstieg Chinas nicht, wohl aber die Notwendigkeit, die fatalen machtpolitischen Denkmuster des 20. Jahrhunderts in die Mottenkiste der Geschichte zu verbannen.
Eberhard Sandschneider, war von 1998 bis 2020 Professor für Politik Chinas und internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Heute ist er Partner bei der Beratungsfirma „Berlin Global Advisors“.
Thomas Schmidt:
ich verstehe Deinen Einwand gut und unterschreibe Deine Einschätzung größtenteils - da wo es um das Prinzip geht, bestehendes internationales Recht und seine Institutionen, und Grundwerte wie Menschenwürde und Nachhaltigkeit, diese ganz universellen Werte die sogar in allen Religionen ähnlich wiederzufinden sind, zur international verbindlichen Norm zu erheben und diese Normen dann auch aktiv zu verteidigen, statt sie nur purem Pragmatismus zu opfern. Ich habe nur zwei massive Probleme und opponiere dagegen: 1. Etwas selbstgerecht mit einem Anflug von neokolonialer Missionierung unsere Formulierungen und Praxis von diesen Werten und Rechten als die allein gültige anzusehen, statt diese zu verhandeln und zu vereinbaren, hier Kompromisse zu suchen und zuvorderst die andere Seite erstmal zu verstehen und zu respektieren. 2. Diese Fragen als geopolitisches Machtinstrument zu mißbrauchen. Das ist aber leider von vielen Playern der Fall - da nehme ich auch China nicht aus. Aber daher dürfen wir das umsoweniger tun.
Viola von Cramon:
Vielen Dank für die Rückmeldung.
Ehrlich gesagt finde ich, dass universelle Menschenrechte eine wichtige Errungenschaft für alle Menschen global sind und - eben nicht eine neokoloniale Missionierung und auch keine “westlichen Werte”, wie die Chinesische KP sie gern zu diskreditieren versuchen. Beim Ton bin ich mir nicht, was Du meinst, da müsstest Du genauer sagen, was und wo er selbstgefällig ist. Zur Frage des geopolitischen Machtinstruments: Was meinst Du an der Stelle mit “missbrauchen”? Die Menschenrechte nicht einfordern, weil sich alle nicht dran halten? Deshalb die Zusammenarbeit nicht konditionieren?
Marcel Ernst:
Sonderverwaltungszone und das *völkerrechtlich* verbriefte Prinzip „Ein Land – zwei Systeme“. "
Thomas Schmidt:
ich hab mich vielleicht etwas unklar und mißverständlich ausgedrückt. Ich meinte nicht Deinen Ton. Ich stimme Dir auch weitestgehend zu und wollte gar nicht Deinen Kommentar monieren.
Ich wollte meinen Kommentar eher als eine Ergänzung dazu sehen und darauf hinweisen, dass ich eine sonst in den Debatten (nicht nur bei den Grünen) m. E. verbreitete Grundhaltung bemerke, die ich auch in dem Antragstext - sagen wir mal - spüre...
Etwa in der Art, dass wir hier im Westen bzw. globalen Norden glauben genau zu wissen, was für andere Nationen essentielle Werte und Regeln sind, auf deren Einhaltung wir zu pochen haben.
Ich finde da schon diese gerade neu Konjunktur habende Formulierung von der Aufteilung der Welt in "Autokratien" und "Demokratien" sehr problematisch. Und auch die von der "regelbasierten Ordnung", wenn dann im Kontext damit gemeint ist, dass es UNSERE Regeln sein sollten.
Ich finde auch völlig verkehrt und kontraproduktiv, jede andere offizielle Meinung aus z. B. China oder Russland zu diesen Fragen als Propaganda abzutun. Ich plädiere da für mehr Respekt und dafür, Einwände aus diesen Staaten ernst zu nehmen.
Generell finde ich das wichtig, weil ich davon überzeugt bin, dass wir einen Kalten Krieg 2.0 verhindern müssen. Geopolitische Rivalität wegen gravierender Meinungsverschiedenheiten ist falsch und gefährlich. Die globalen Herausforderungen gebieten, stattdessen Kooperation und Ausgleich zu suchen - trotz bestehender Meinungsverschiedenheiten.
Nur um diese Grundhaltung geht es mir...
LG
Juergen Kurz:
du hast 100% recht wenn Du schreibst: "Ehrlich gesagt finde ich, dass universelle Menschenrechte eine wichtige Errungenschaft für alle Menschen global sind" Das stellt niemand in Frage.
Auch die chinesische Regierung hat sich nach allem was ich bisher gelesen und gehört habe nicht dagegen gestellt. Sie hat auch die Menschenrechtscharta unterzeichnet. Natürlich kommt jetzt das Argument sie hält sich nicht dran. Wir wissen das ja zu 100% !
Genau an der Stelle wird es aber sehr ungenau. Ich bin mir sicher, dass es in China Menschenrechtsverletzungen gibt. Genauso wie bei uns (z.B Mittelmeer, NSU) oder in den USA (z.B. BLM, Familientrennungen an der Grenze, illegale Kriege, Drohnenangriffe) usw.
Daraus aber eine gezielte politische Aktion zur Untergrabung universeller Menschenrechte der Regierung in dem 1,4 Mrd. Volk China zu konstruieren ist sehr gewagt. Genau da setzt dann China an mit dem Hinweis auf "westliche Werte". Wenn man genau hin hört, dann versteht Mann/Frau sehr wohl dass es bei China um eine Abwehr gegen politisch eingesetzte Argumente geht, aber nicht um die Menschenrechtscharta.
Ja, in der Frage der innerpolitischen Beteiligung an der Willensbildung gibt es sehr divergierende Beschreibungen zwischen China und uns. Ob das aber zum Thema universelle Menschenrechte gehört ist tatsächlich diskutabel.
Ich möchte auch noch mal die von Dir angesprochene politisch strategische Debatte aufgreifen die Du in dem Satz "Die viel grössere Debatte wird uns in Kürze erreichen, wenn die wirtschaftliche Macht Chinas so groß ist, dass wir eben nicht mehr aktiv reagieren können. Aktuell ist auf jeden Fall der Prozess des sog. Decoupling im vollen Gange." ansprachst.
Ich glaube Du unterliegst da einem Irrtum. Zwar wird dauernd von decoupling gesprochen, aber es findet faktisch nicht statt. China hat im ersten Quartal 2021 einen Zuwachs von 18,3 % in der Wirtschaftsleistung gegenüber 2020 verzeichnet, nachdem das erste Quartal 2020 das Pandemiequartal war. Die deutsche Autoindustrie hat noch nie so viel in China verkauft wie in dem letzten Quartal. Auch ich beobachte eine starkes Wachstum in meiner Branche. Es ist illusorisch zu glauben man könnte China zu irgendetwas durch starke Anschuldigungen zwingen.
Auch der Handel mit den USA hat faktisch unter der Trump Ära trotz vollmundiger Ankündigungen zugenommen!
Wenn wir mit China was erreichen wollen, dann ist A50neu absolut kontraproduktiv, weil er offene, vorurteilsfreie Diskussionen schlichtweg blockiert. Wer Behauptungen dieser Art aufstellt, blockiert jede offene Diskussion. Damit hilft dieser Antrag unterm Strich niemandem.
Im Gegenteil, er baut in modernem Gewand auf alt-kolonialen besser wisserischen Reflexen auf. Thomas hat das dankenswerterweise sehr zutreffend heraus gearbeitet.
Daniel Hecken:
"China ist Europas Wettbewerber, Partner, systemischer Rivale. Wir verurteilen Chinas eklatante Menschenrechtsverletzungen etwa in Xinjiang, Tibet oder in Hongkong. Deutschland sollte sich daher für eine Fact-Finding-Mission zu Xinjiang im Rahmen des VN-Menschenrechtsrats einsetzen und die Unterdrückung der Uighur*innen als Völkerrechtsverbrechen bezeichnen. Das sogenannte Sicherheitsgesetz für Hongkong und die Änderung des Wahlrechts sind ein Angriff auf die Autonomie der
Sonderverwaltungszone und das völkerrechtlich verbriefte Prinzip „Ein Land – zwei Systeme“. Wir unterstützen die Demokratiebewegung in Hongkong und wollen auf zivilgesellschaftlicher Ebene den Austausch mit China intensivieren. Es braucht einen konstruktiven Klima-Dialog mit China und wir streben gemeinsame politische, wirtschaftliche und technologische Anstrengungen zur Bekämpfung der Klimakrise an. Kooperation mit China darf nicht zu Lasten von Drittstaaten oder von Menschen- und Bürger*innenrechten gehen. Wir halten uns an die „Ein-China-Politik“ der Europäischen Union und betonen, dass die Vereinigung mit Taiwan nicht gegen den Willen der Bevölkerung Taiwans erzwungen werden darf. Gleichzeitig wollen wir den politischen Austausch mit Taiwan ausbauen. Unsere Handelsbeziehungen wollen wir nutzen, um fairen Marktzugang für ausländische Investitionen, Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen einzufordern, sowie nachhaltige Wirtschaftskreisläufe international zu etablieren. Wir erwarten, dass China die entscheidenden Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO ratifiziert und jede Form von Zwangsarbeit beendet. Das ausgehandelte Investitionsabkommen der EU mit China ist für uns in dieser Form nicht zustimmungsfähig. Angesichts der Menschenrechtsverletzung – etwa in Xinjiang – wollen wir einen europäischen Mechanismus entwickeln, der Waren aus Zwangsarbeit den Zugang zum Binnenmarkt verwehrt. Wir werden an einer engen europäischen und transatlantischen Koordinierung gegenüber China arbeiten, besonders auch in den Bereichen 5G-Ausbau und Schutz kritischer Infrastruktur."